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Ich höre gerne Geschichts-Podcasts. Ich finde es spannend, zu hören, wie berühmte Frauen und Männer zu den Persönlichkeiten wurden, die sie waren. Etwas verbindet Vincent van Gogh, Katharina die Große, Otto von Bismarck und viele andere: Ihre Eltern haben ihre Wünsche ganz stark auf sie projiziert.

Das ist bis zu einem gewissen Grad normal. Wir Eltern haben unsere eigenen Kindheitserfahrungen gemacht und denken bewusst oder unbewusst an sie zurück. Welche Erfahrungen habe ich gemacht, die ich mir für meine Kinder ebenfalls wünsche … oder auf keinen Fall wünsche? Was habe ich mir immer gewünscht und möchte es meinen Kindern ermöglichen?

Mein Sohn ist jetzt vier Jahre alt. Er macht gerade erste Erfahrungen mit Freundschaften im Kindergarten. Ich wünsche mir, dass er gute Freunde findet. Ein schöner Wunsch. Aber natürlich geht er manchmal noch ungeschickt auf andere Kinder zu. Er ist auch wild und testet seine Grenzen aus. Es fällt mir schwer, damit umzugehen, da ich selbst viel Ausgrenzung durch andere Kinder erlebt habe. Zum einen wünsche ich mir, dass mein Sohn das nicht erlebt. Andererseits wünsche ich mir, dass er nicht zu einem Mobber wird. Bei einem Vierjährigen ist es wahrscheinlich etwas zu früh, um darüber nachzudenken. Aber mir hilft es, das im Blick zu haben.

Auch bei anderen Themen merke ich, dass ich meine Erfahrungen auf meinen Sohn projiziere. Ich habe sehr lebendige Erinnerungen an meine Kindheit. Ich erinnere mich daran, was mir Angst gemacht hat, woran ich mich verletzt habe und auch was ich eklig fand. Meine Frau war manches Mal überrascht, wie empfindlich ich reagiert habe, wenn mein Sohn als Kleinkind mit bloßen Händen in seinem Essen gematscht hat. Ich kannte noch das Gefühl und wie sehr ich es hasste, wenn etwas an meinen Händen klebte. Es war für mich fast so, als hätte ich es mit meinem Sohn gemeinsam erlebt. Aber auch das gehört zu mir.

Zum Glück gibt es in der Geschichte viele Persönlichkeiten, die trotz des elterlichen Drucks oder gerade in der Auseinandersetzung damit ihren eigenen Weg fanden. Für meine Familie wünsche ich mir jedoch etwas anderes – unsere Kinder sollen aufwachsen können, ohne dass wir ihnen unsere Wünsche überstülpen oder diese auf sie projizieren.

Mir hilft es, mir viel Zeit zu nehmen, um mein Kind genau zu beobachten und es noch besser kennenzulernen. Wenn wir gemeinsam spielen, lasse ich es mal die Führung übernehmen und staune dann über seine Ideen. Ich stelle ihm altersgerechte Fragen. Und tausche mich immer wieder mit meiner Frau und Freunden darüber aus, was sie in ihm sehen. Vieles überrascht mich. Mein Sohn ist so anders als ich!

Ich weiß zum Beispiel noch genau, wie weh es mir getan hat, mit dem Fahrrad hinzufallen. Wenn ich früher fiel, wollte ich meistens am liebsten nicht mehr weiterfahren. Mein Sohn hat mit drei Jahren Fahrradfahren gelernt. Wenn er hinfällt, will er als Nächstes direkt weiterfahren. Er bewegt sich einfach ganz anders durch diese Welt. Das möchte ich ihm zugestehen und finde es oft auch klasse.

Und ich? Ich kann mir meine Kindheit nochmal angucken. Ich kann auch jetzt noch vieles lernen! Manche Dinge wollen betrauert werden. Über vieles kann ich mich noch einmal freuen, wenn mein Sohn es erlebt. Manche Wünsche lasse ich los und lasse ihn seine eigenen Erfahrungen machen. Manche Vorstellungen bleiben. Aber ich mache mir bewusst, dass es meine Vorstellungen sind.

Was ist momentan dein größter Wunsch für deine Kinder?
Welche deiner Kindheitserinnerungen schwingen darin mit?
In welchen Aspekten unterscheidet sich dein Kind von dir und was lernst du daraus?

 

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