„Mama, ich gehe jetzt zu meiner Freundin!“, ruft die eine Tochter und trampelt lautstark die Treppe hinunter.
„Wie?“, rufe ich verwirrt zurück. „Wollten wir heute nicht einen Familien-Filmabend machen?“
Sie kommt kurz in die Küche, schnappt sich die für den Filmabend eingekauften Snacks und ihr Lieblingsgetränk aus dem Schrank, und erklärt mir, dass sie spontan lieber etwas anderes machen möchte.
„Nächste Woche?“, ruft sie im Hinausgehen.
Ich schaue ein bisschen traurig meinen Mann an, der den Austausch schweigend verfolgt hat, während er unsere allseits geliebte Lasagne in den Ofen schiebt. Er zuckt die Schultern.
„Dann heute eben zu dritt…“, meint er nur. In mir wühlt es. Nach einer anstrengenden Woche hatte ich mich auf entspannte Zeit mit meinen Lieblingsmenschen gefreut. Natürlich würden wir es auch zu dritt toll haben, aber ich mag es am liebsten, wenn wir alle zusammen sind. Eine Nachricht auf dem Handy: Die andere Tochter hat im Zug eine Freundin getroffen und spontan beschlossen, noch etwas zu unternehmen. Sie scheint sich an den Filmabend überhaupt nicht zu erinnern. Ich bekomme schlechte Laune und fühle mich kurz… ja, richtig versetzt.
Jahrelang waren die Zeiten, die man nur für sich als Paar hatte, rar und mussten hart erkämpft werden. In den letzten Monaten sind sie häufiger geworden. Am Wochenende wird ausgeschlafen und der Teeny-Tag beginnt, wenn wir schon stundenlang irgendwelche Dinge erledigt haben, Sport gemacht und zu Mittag gegessen haben. In den Ferien wird längst nicht mehr jeder Ausflug mitgemacht. Immer häufiger warten wir, die Eltern, darauf, dass unsere Kinder Zeit haben. (Und ja, mir ist bewusst, dass solche langen, leeren Fenster für Eltern in der Kleinkind-Action-Phase genau das sind, wovon sie träumen…)
Natürlich weiß ich, dass das zum Älterwerden der Kinder dazugehört. Natürlich freue ich mich, wenn sie tolle Dinge unternehmen und ihre Jugend genießen. Aber gleichzeitig machen sich Nostalgie und Einsamkeit breit und ich habe plötzlich überhaupt keine Lust mehr auf einen lustigen Film. Ich möchte mich auf die Couch legen, alte Familienvideos anschauen und ein bisschen traurig sein. Denn es ist doch irgendwie alles so schnell gegangen.
Mein Mann und ich haben dann gemeinsam die leckere Lasagne verspeist und über unsere Gefühle gesprochen. Es scheint mal wieder an der Zeit zu sein, Anpassungen im Familienleben zu machen. Das ist nicht immer einfach. Aber es gehört dazu. Ich weiß ja tief im Herzen, dass meine Kinder mich lieben und dass ich auch ohne sie einen schönen Abend verbringen kann. Ich wusste auch, dass man Kindern Flügel geben muss. Und ich habe jedem werdenden Elternpaar gepredigt: Nichts bleibt, wie es ist.
Aber jetzt, heute und hier, hat es mich einfach traurig gemacht. Und das ist in Ordnung. Wir dürfen traurig sein über Dinge, die sich ändern. Denn wir haben etwas verloren, das wir sehr mochten. Aber was macht das Loslassen einfacher?
Nähe verändert sich, sie verschwindet nicht
Unsere Kinder rücken scheinbar von uns weg, aber in Wahrheit wächst etwas Neues zwischen uns – eine stillere, reifere Form der Verbundenheit. Nähe zeigt sich nun anders: in einer kurzen Nachricht, einem vertrauten Lächeln oder einem beiläufigen „Weißt du noch…“. Wir müssen sie nur wiedererkennen. Manchmal liegt sie ganz unscheinbar zwischen zwei Sätzen, wenn die Kinder erzählen, wie ihr Tag war – kurz, aber ehrlich.
Den eigenen Raum wiederfinden
So viele Jahre lang haben wir unsere Energie geteilt, getaktet und verschenkt. Jetzt dürfen wir sie wieder ein bisschen zu uns zurückholen. Vielleicht in Form eines Spaziergangs ohne Ziel, einer alten Leidenschaft, die wieder aufflammt, oder eines stillen Abends, an dem niemand etwas von uns erwartet. Loslassen bedeutet nicht, sich zu verlieren – sondern sich selbst wieder ein Stück mehr zu entdecken.
Dankbarkeit als sanften Anker spüren
Es hilft, innezuhalten und dankbar zu sein – für das, was war, und für das, was bleibt. Für das Lachen am Esstisch, das inzwischen zwar seltener, aber nicht weniger herzlich ist. Für die Gewissheit, dass unsere Kinder mit allem, was wir ihnen mitgegeben haben, hinausgehen in die Welt. Loslassen ist nicht das Ende, sondern eine liebevolle Fortsetzung – in einer anderen Form.
Das leere Nest stellt sich nicht plötzlich ein, sondern schleicht sich in kleinen Momenten ein. Wir spüren Verlust, Nostalgie und manchmal auch Einsamkeit. Und das ist gut so. Es zeigt uns, wie sehr wir diese Zeit geliebt haben. Gleichzeitig eröffnet sich Raum – für uns selbst, für neue Erfahrungen und für die stille Freude daran, die Kinder beim Fliegen zu beobachten.
Am späteren Abend, so gegen halb zehn, sind übrigens beide Töchter bei uns auf der Couch gelandet und haben die kalte Lasagne verspeist, eineinhalb Stunden erzählt und wir haben viel gelacht. Und diese Zeit habe ich so richtig intensiv genossen. Vielleicht – oder wahrscheinlich – viel intensiver, als wenn wir einfach „nur“ den Filmabend gemacht hätten.
Loslassen beginnt nicht erst mit grossen Kindern. Es gehört von Anfang an dazu.
Wo musst du in deinem Familienleben etwas Liebgewonnenes loslassen?
Was macht das mit dir?
Kannst du bereits eine neue Form von Nähe und Verbundenheit erkennen?