FAMILYLIFE
Engagieren

Meistens geht es bei uns am frühen Morgen recht ruhig zu und her. Wir wissen voneinander, wer hellwach und kommunikativ ist, wer lieber seine Ruhe haben möchte und wer wie lange im Bad benötigt.

Kürzlich jedoch gab es wegen einer kurzfristigen Planänderung in genau diesem kleinen Badezimmer einen regelrechten Stau. Unsere Jüngste verschwand frustriert in ihrem Zimmer und versuchte dort, sich die Haare zu machen. Ich fand das Ergebnis sehr schön, sie überhaupt nicht. Ihr Frust – verursacht durch das besetzte Badezimmer, einer Diskussion mit der großen Schwester und der unbefriedigenden Frisur (und meinem Kommentar dazu) – entlud sich an mir. Danach verschwand sie in ihrem Zimmer, obwohl sie bereits auf dem Weg zur Schule hätte sein sollen. 

Am Abend des gleichen Tages blieb ich vor lauter Müdigkeit viel zu lange mit meinem Handy auf dem Sofa sitzen und scrollte durch Bilder von machtbesessenen Politikern, kriegsversehrten Menschen und zerstörten Städten, die mir den Boden unter den Füßen wegzuziehen drohten. 

Zwei Tage später, ich war gerade dabei, mir eine Tasse Kaffee zu machen, kam meine mittlere Tochter in die Küche und fragte aus heiterem Himmel: „Können wir einen Apfelbaum pflanzen?“

Das war der Moment, in dem ich ins Nachdenken kam. Wie will ich leben, im Kleinen wie im Großen? Wie das Alltägliche gut meistern, meine Kinder zu liebevollen, selbstständigen jungen Menschen erziehen und dabei weder die Welt aus den Augen verlieren noch mich von ihr unterkriegen lassen?

Am Beispiel unserer Jüngsten und ihrer Frisur lässt sich gut zeigen, was mir im Alltag hilft: Ich drückte Verständnis für ihren Frust aus, forderte sie klar auf, in die Schule zu gehen, traute ihr die Umsetzung zu und überließ es ihr, mit den allfälligen Konsequenzen des Zuspätkommens klarzukommen. Verallgemeinert formuliert, sind das die folgenden Punkte: Nicht mit den Emotionen mitschwingen (schwierig), Empathie zeigen (Übungssache), klar kommunizieren (eher einfach), dann loslassen und zutrauen (mmh) und eventuelle Probleme des Kindes nicht zu meinen eigenen machen (herausfordernd). 

Vereinfacht gesagt, tragen diese paar kleinen Verhaltensweisen dazu bei, dass ich Sorge trage zu mir und nicht Dinge zu den meinen mache, die nicht meine sind. Ich grenze mich ab. Eine gesunde Abgrenzung wäre auch in der Sofa-Situation nötig gewesen. Nicht von der Sorte: «Das geht mich nichts an, weil ich sowieso nichts ändern kann.“ Sondern: Ich informiere mich und es tut mir weh, das alles zu sehen. Aber ich lasse mich nicht lähmen und davon abhalten, meinen Beitrag für eine lebenswerte Welt zu leisten.

Sich abgrenzen zu können ist nicht nur eine Überlebensstrategie, sondern eine gesunde Lebensregel: Sie schafft Raum, um in dieser Welt Gutes zu tun, im Kleinen wie im Großen. „Wenn ich wüsste, dass morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen.“ Dieser Satz, der fälschlicherweise Luther zugeschrieben wird, gibt mir die Richtung vor: Nach vorne und mit dem Auftrag, Leben zu ermöglichen und zu gestalten – im immer leicht chaotischen Familienalltag und wo immer möglich im Größeren.

Wo musst du dich abgrenzen? Was kannst du im entstehenden Raum Gutes tun?

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