Bei Melanie und André ist es so eine Sache mit dem Sex. Während er früher ein wichtiger Teil ihrer Beziehung war, findet er heute kaum noch statt. Wenn sie wieder einmal miteinander schlafen, genießen es beide sehr. Sie finden dann, dass sie wieder häufiger Liebe machen sollten. Doch es bleibt beim guten Vorsatz, im Alltag fehlt die Lust und keiner der beiden ergreift die Initiative.

„Ich habe es satt, immer wieder fragen zu müssen, ob der werte Herr vielleicht Lust hat und dann doch eine Abfuhr zu erhalten“, klagt Melanie bei ihrer Freundin. Das ist verständlich. Bei André klingt es ähnlich: „Wieso muss ich immer den ersten Schritt machen? Ich will doch nicht dauernd betteln müssen, damit wir endlich wieder einmal Sex haben.“ Deshalb ergreift auch er die Initiative immer seltener.

Wer weniger Sex will, hat mehr Macht in der Beziehung. André und Melanie würden es wohl nicht so formulieren, aber trotzdem spüren sie es. Beide haben gemerkt, dass sie in die Rolle des Bittstellers rutschen und damit dem Partner ausgeliefert sind, wenn sie häufiger Lust haben. Der andere hat sie in der Hand. Etwas überspitzt ausgedrückt könnte man sagen, dass es keinen Sex gibt, wenn es in der Beziehung nicht genau so läuft, wie sich das der Partner mit dem schwächeren Verlangen nach Sex vorstellt. Wer weniger Sex will, hat die Hosen an. Wortwörtlich und im übertragenen Sinn.

Deshalb kommt es in unzähligen Partnerschaften zu diesem «race to the bottom», bei dem sich beide gegenseitig mit ihrem Wunsch nach Sex unterbieten, bis sie schlussendlich gar nicht mehr miteinander schlafen. Die Ursache der Sexlosigkeit wird dann häufig ganz am falschen Ort gesucht, etwa bei Sextechniken. Dabei ist in diesen Fällen die fehlende Intimität schlicht und einfach Ausdruck eines Machtkampfs des Paares.

In einem Paarcoaching kommen Melanie und André ihrem Muster auf die Spur. Das allein ist schon Gold wert. Sie merken, dass sie beide verlieren, wenn sie ihre Machtkämpfe auf dem Boden der Paarsexualität austragen. Deshalb nehmen sie sich vor, dass sie beide zukünftig grundsätzlich auf das sexuelle Bedürfnis des Partners eingehen wollen, auch wenn ihnen anfänglich nicht danach ist. Selbstverständlich können sie auch weiterhin Sex ablehnen, aber sie wollen das nur noch tun, wenn sie sich ganz sicher sind, dass es nichts mit dem Ausüben von Macht zu tun hat.

So fällt es mit der Zeit beiden wieder leichter, den ersten Schritt zu tun und Sex zu initiieren. Langsam, aber sicher erwacht ihr Liebesleben wieder. Natürlich fallen sie gelegentlich in ihr altes Muster zurück, doch die Richtung stimmt. Bald schon kann Melanie ihrer Freundin von einem zweiten Frühling zwischen ihr und André berichten.

 

NEXT LEVEL FÃœR MEINE BEZIEHUNG:
Wird eure Sexualität manchmal auch zum Spielfeld eurer Machtkämpfe?