Was gibt es in einer Familie gleichzeitig, meist in rauen Mengen und gratis? Richtig, Bedürfnisse! Sie sind immer da und sie machen keine Pause.

In der ersten Januarwoche haben wir ein paar Tage frei. Meinen Mann zieht es in die Berge. Unsere Jüngste möchte entweder lesen oder mit einer Freundin und deren Hund Zeit verbringen. Die Mittlere hat, jetzt wo die Maturaarbeit geschafft ist, das Bedürfnis  nach absolutem Nichtstun und von mir gekochten Mahlzeiten und die Älteste steckt mitten in der Lernphase für die nächsten Semesterprüfungen. Ich selbst mag Schnee und Berge auch, möchte im Moment aber am liebsten etwas Zeit für mich und alle Viere von mir strecken. 

Gibt es einen guten Umgang mit Bedürfnissen, der den Realitätscheck besteht – auch wenn es bei uns Bedürfnisse regnet wie Konfettis an der Fasnacht?

Wenn’s nichts Schlimmeres ist, mögen die einen jetzt denken. Und haben damit vollkommen recht. Die obige Situation lässt sich leicht lösen. Schwieriger ist es, wenn sich die Lösung nicht aus dem Ärmel schütteln lässt oder mit größerem Verzicht verbunden ist. Als herausfordernd erlebe ich auch Phasen, in denen es sich anfühlt, als regne es Bedürfnisse auf mich herab.  Dann versuche ich instinktiv und quasi im Dauerlauf, allen Bedürfnissen gerecht zu werden – und bin damit von Anfang zum Scheitern verurteilt. Ich merke, dass ich mir im Verlauf der Jahre selbst einen Bären aufgebunden habe. Unbewusst gehe ich davon aus, dass es mit dem richtigen Dreh möglich ist, in einer Familie entweder alle Bedürfnisse zu erfüllen oder zumindest die Bedürfnisse der Einzelnen irgendwie kompatibel zu machen. Beides ist falsch. Ich bin erleichtert und gleichzeitig frage ich mich: Gibt es einen guten Umgang mit Bedürfnissen, der den Realitätscheck besteht – auch wenn es bei uns Bedürfnisse regnet wie Konfettis an der Fasnacht?

Konfettis sind das Stichwort. Es gibt sie in unterschiedlichen Farben und Formen. Da sind Dreiecke, Kreise, Rechtecke, Sechsecke usw. Legen wir diese übereinander, merken wir, dass sie nicht kongruent sind. Wenn wir die Konfettis passgenau machen wollen, müssen wir zur Schere greifen und allen dieselbe Form geben – damit beschneiden wir jedes Konfetti und das nicht zu knapp. Nehmen wir an, dass jede Konfetti-Form für die Bedürfnisse einer Person in der Familie steht. Im Alltag versuchen wir immer wieder, die Bedürfnisse der Einzelnen übereinander zu legen. Und haben dann das Problem, dass diese, genau wie die Konfettis, nicht deckungsgleich sind. Der Griff zur Schere macht keinen Sinn. Wir würden lediglich alle Bedürfnisse so beschneiden, bis sie übereinander passen und wir den kleinsten gemeinsamen Nenner gefunden haben. Da bleibt ziemlich sicher nicht viel vom ursprünglichen Bedürfnis übrig und längerfristig wären alle unglücklich.

Vielversprechender ist es, wenn wir innerhalb der Familie zyklisch Raum geben für jeweils eine oder auch zwei Personen. Die anderen stehen dann für eine (definierte) Zeitspanne zurück. Das können Eltern und Kinder sein. Gefragt ist Weisheit beim Abwägen und Entscheiden und Entscheiden, wer wie lange zurücksteht. Und selbstverständlich darf es nicht immer die gleiche Person treffen.

Für unsere freien Tage handeln wir also aus, wer wann mit wem in die Berge geht, wann unsere Jüngste Zeit mit ihrer Freundin verbringt oder diese uns auf einen Ausflug begleitet, und wer auf was verzichten muss (zum Beispiel auf von mir gekochte Mahlzeiten). Und wir priorisieren für die nächsten beiden Wochen bis zum Prüfungstermin ganz klar die Bedürfnisse unserer Ältesten. Wir befreien sie von alltäglichen Pflichten, staubsaugen ihr auch mal das Zimmer und bringen  immer mal wieder eine Tasse Tee und etwas Schokolade vorbei.

*Zyklisch Raum zu geben, ist kein Versprechen für schnelle oder einfache Lösungen. Aber es ist ein Ansatz, der den Realitätscheck besteht. Alle Familienmitglieder werden gesehen und jede und jeder kommt mal zum Zug. 

Wie gehst du mit den vielen Bedürfnissen in deiner Familie um? 
Ein Kind, das über längere Zeit Einschlafbegleitung benötigt, ein kosten- oder zeitintensives Hobby, ein Karriereschritt, eine Krankheit, knappe Finanzen, das Bedürfnis nach Me-Time, ein Kind, das fremdelt oder nicht in den Kindergarten möchte oder etwas ganz anderes: Diese Aufzählung von Bedürfnissen lässt sich endlos fortsetzen. Wo möchtest du in den nächsten Wochen zyklisch Raum geben oder selbst in Anspruch nehmen?

*Weitere Informationen: Stiftung Rhynerhus

Alexandra Kämpf ist verheiratet mit Richard. Zusammen haben sie drei  Töchter im Alter von 10, 17 und 20 Jahren.

Sie arbeitet bei FAMILYLIFE und verantwortet dort die Ehe- und Elternkurse.