Tatsächlich ist es so, dass ich mich von Zeit zu Zeit dabei ertappe, wie ich zwischen richtiger und falscher Erziehung unterscheide. Natürlich weiss ich, dass es diese nicht gibt, schließlich habe ich Soziale Arbeit studiert. Und trotzdem habe ich immer wieder das Bedürfnis, es richtig zu machen, wohl um den positiven Ausgang, sprich ein Kind nach meinen Vorstellungen garantiert zu haben.  

So ging es mir auch kürzlich, als mein Mann und ich über ein Thema in der Kindererziehung austauschten. Oder viel mehr diskutierten, denn da waren schon einige Emotionen im Spiel. Es ging darum, wie wir mit einem Gefühlsausbruch von einem unserer Kinder umgehen sollten. Gehen wir darauf ein und nehmen damit das Anliegen respektive das Bedürfnis des Kindes hinter dem Verhalten ernst? Oder sind wir klar und zeigen dem Kind, dass wir ein solches Verhalten nicht akzeptieren? 

Eigentlich banal und trotzdem waren unsere Gemüter etwas erhitzt, wenn auch nicht so fest, wie dasjenige unseres Kindes bei seinem Gefühlsausbruch. Unsere Diskussion drehte sich um die Frage, ob eher Mama oder Papa mit ihrem Ansatz richtig lagen und damit richtig erziehen. Natürlich wurde das nicht so ausgesprochen, aber genau darum ging es uns. Ich spürte eine innere Spannung. Einerseits wollte ich mir selbst und meinem Erziehungsstil treu bleiben, ja sogar meinen Mann von meinem “richtigeren” Ansatz überzeugen, andererseits wollte ich nicht mit meinem Mann uneinig sein. Nach einigem Hin und Her schwieg ich resigniert. Wir kamen auf keinen gemeinsamen Nenner und ich wollte nicht länger über ein so banales Thema streiten. 

Die Frage, die ich mir stellen muss, ist nicht, ob er oder ich es richtig machen, sondern viel mehr: “Sind wir in Beziehung?”

Während ich jetzt über diese Episode nachdenke, kommt mir eine Aussage in den Sinn: Erziehung ist Beziehung. Wie passt dieser Satz zu unserem Umgang mit dem Gefühlsausbruch unseres Kindes? Passt er zu meinem Verhalten? Wenn es nur eine richtige Erziehung gäbe, wäre meine größte Aufgabe als Mutter, möglichst für jede Situation die entsprechende Handlung erlernt zu haben. Sprich, bei Verhalten A braucht es Reaktion A, bei Verhalten B zeige ich Reaktion B. Wenn mein Mann auf Verhalten A die Reaktion Y zeigt, muss ich ihn möglichst schnell davon überzeugen, dass das falsch ist. Was aber, wenn Erziehung in erster Linie tatsächlich Beziehung ist? Dann darf sich mein Umgang mit unseren Kindern von dem meines Mannes unterscheiden. Die Frage, die ich mir stellen muss, ist nicht, ob er oder ich es richtig machen, sondern viel mehr: “Sind wir in Beziehung?”. 

So unterschiedlich wir Menschen sind, so verschieden fällt je nach Mensch und Konstellation die Antwort auf diese Frage aus. Und selbst wenn wir als Ehepaar die gleichen Werte haben, können diese in der Beziehung zum Kind unterschiedlich ausgelebt werden. So darf es in unserer Familie sein, dass ich als Mutter beim Gefühlsausbruch meines Kindes im ersten Moment sein unerwünschtes Verhalten ignoriere und mich einfach seinem Bedürfnis annehme, um dann zu einem späteren Zeitpunkt den Umgang mit Gefühlen und sein Verhalten zu thematisieren. Während mein Mann unserem Kind zumutet, dass es sein Verhalten unseren Werten entsprechend anpasst, selbst wenn die Gefühle dies ein wenig erschweren. 

Wie schön, wenn unsere Kinder so lernen dürfen, dass das Leben vielseitig und facettenreich ist und auch sie in ihrer Individualität der Welt begegnen dürfen. Wie wertvoll, wenn Erziehung in der Beziehung stattfindet und wir nicht einfach einem Schema folgen müssen. 

In welchen Themen im Alltag bist du versucht, der richtigen Erziehung nachzueifern und dabei die Beziehung zu deinem Kind zu vernachlässigen? 
Wo gibt es Bereiche in eurer Erziehung, wo ihr unterschiedliche Ansätze stehen lassen dürft, weil Beziehung vor Erziehung kommt? 

Lea Leiser ist verheiratet mit Manuel. Gemeinsam haben sie einen Sohn, bald 8 und eine Tochter 6 Jahre alt, und leben mit weiteren Menschen gemeinschaftlich unter einem Dach. 

Sie arbeitet in der Personalabteilung von Campus für Christus.