Es ist kurz nach zwölf am Mittag. Die Kinder trudeln nach und nach zu Hause ein. Jacken, Schuhe und Schulrucksäcke purzeln durcheinander und jedes will zuerst etwas sagen. Die Jüngste reicht mir ein Blatt mit den Schulsport-Angeboten, zu denen man sich für die Monate Oktober bis April anmelden kann. Sie weiß genau, was sie will, erklärt und begründet und will das Anmeldeformular sofort ausfüllen.

Ich weiß, dass ihre euphorische Stimmung gleich ins Gegenteil umschlagen wird, wenn ich sie daran erinnere, dass sie sich im Sommer für den Blockflötenunterricht entschieden hat und deshalb kein weiteres Freizeitangebot besuchen darf.

Ich atme einmal tief durch und versuche es mit Ablenkung: «Komm wir gehen an den Tisch und essen zuerst. Wir können nachher darüber sprechen.» Das funktioniert ab und zu. Heute leider nicht. «Mama, ich darf, oder?» Ich versuche es noch einmal und fordere die Kinder auf, sich an den Tisch zu setzen. Sie bleibt hartnäckig und will eine Antwort. Also erinnere ich sie an unser Gespräch über den Blockflötenunterricht und andere Freizeitaktivitäten vor ein paar Wochen. Und es geschieht, was ich befürchtet habe. Sie wird wütend und beginnt laut über die blöde Mama zu schimpfen.

Es gibt sie in jeder Familie, diese typischen Szenen. Wir erleben sie mit Vorschulkindern und mit größeren Kindern, die bereits die Schule besuchen. Aber auch mit Teenagern ist man nicht davor gefeit.

Manchmal möchten wir unsere Kinder am liebsten zurechtweisen, weil ihr Verhalten nicht unseren Erwartungen entspricht.

Es gehört dazu, dass Kinder sich unangemessen verhalten. Dann sind wir Eltern gefordert. Wie verhalten wir uns? Spätestens mit dem zweiten Kind haben wir gelernt, dass es in solchen Momenten sinnlos ist, das Kind für seinen schlechten Umgang mit Frustrationen zu rügen, da dies nur zu noch mehr Frust führt.

Denn bevor wir auf das Verhalten unseres Kindes reagieren, sollten wir uns überlegen, warum es sich so verhält. Für uns haben sich vier kurze Fragen als sehr hilfreich erwiesen. Sie sind einfach zu merken, weil sie zusammengefasst das Wort HALT* ergeben.

    • Hat das Kind Hunger?
    • Hat das Kind Angst oder ist es wütend?
    • Fühlt sich das Kind abgelehnt oder einsam? Hat es ein Liebesmanko?
    • Ist das Kind total müde?

Hunger: Es lohnt sich, ein schwieriges Thema erst dann anzugehen, wenn das Kind etwas gegessen hat.

Angst oder Wut: Vielleicht beschäftigt unsere Kinder etwas aus der Schule oder sie machen sich Gedanken über etwas, das sie gehört haben. Häufig aber wissen Kinder selbst nicht genau, warum sie durcheinander sind.

Liebesmanko: Wer in der Schule ein entmutigendes Feedback für eine Leistung erhält oder auf dem Pausenplatz von einem Spiel ausgeschlossen wird, und deshalb in schlechter Stimmung zur Haustür reinkommt, braucht Liebe und keine Strafen für unangemessenes Verhalten.

Totale Müdigkeit: Wer sich in der Schule den ganzen Tag in Abläufe einfügen muss oder müde vom Spielen bei Freunden nach Hause kommt, ist oft gereizt. Da hilft statt einer Zurechtweisung, wenn wir dem Kind Zeit zum Abschalten gewähren und versuchen, zusätzliche Stressfaktoren zu vermeiden und z. B. schwierige Gespräche auf einen späteren Zeitpunkt verschieben.

Damit würden wir in vielen Fällen aber schlicht das Gegenteil von dem erreichen, was wir wollen.

In der obigen Situation ist es sonnenklar. Das Kind hat Hunger und ist nach dem Vormittag in der Schule auch müde. Nachdem sich unser Kind an den Tisch gesetzt hat und etwas im Magen hat, verbessert sich seine Stimmung. Wir reden noch einmal über das Thema Freizeitaktivitäten und – weil sie jetzt ruhig und zugänglich ist – auch über ihr unangebrachtes Verhalten. Sie erzählt, wie es ihr geht und ich erkläre ihr meine Erwartungen. Das reicht für den Moment.

Manchmal möchten wir unsere Kinder am liebsten zurechtweisen, weil ihr Verhalten nicht unseren Erwartungen entspricht. Damit würden wir in vielen Fällen aber schlicht das Gegenteil von dem erreichen, was wir wollen.

In einem WhatsApp-Status habe ich folgendes Statement gelesen: Sorry for what I said when I was hungry. Der Satz könnte auch von mir sein. Auch wir Eltern sollten uns diese vier Fragen zu unserer Befindlichkeit ab und zu stellen. Sind wir müde oder angespannt, fühlen uns ungeliebt oder haben Hunger, neigen auch wir zu Überreaktionen.

* aus „Eltern auf Kurs“ von Nicky und Sila Lee

Kennst du Szenen wie oben beschrieben auch aus deinem Familienleben? Versuche HALT anzuwenden. Halte nachher kurz fest, wie das die Situation verändert hat.

Alexandra Kämpf ist verheiratet mit Richard. Zusammen haben sie drei  Töchter im Alter von 8 bis 18 Jahren. 

Sie arbeitet bei FAMILYLIFE und verantwortet dort die Ehe- und Elternkurse.