Am Jahresanfang machen sich die meisten Menschen Gedanken. Ich bin da keine Ausnahme. Dass wir Silvester feierten, die ersten Januartage nach Neubeginn rochen und das neue Jahr wie ein unbeschriebenes Blatt vor mir lag, freute mich nach den letzten intensiven Monaten besonders. 

Es fühlte sich nämlich an, als hätten wir Außerordentliches geleistet in den letzten zwölf Monaten. Und das haben wir vermutlich auch – zusammen mit dem Rest der pandemiemüden Menschheit, aber hier soll es um Familien gehen. Deren Alltag ist, obwohl gerade in der Schweiz auch viel Normalität vorhanden ist, doch in allem ein bisschen unsicherer, anstrengender und unplanbarer als auch schon. 

Ich möchte lernen, in der Gleichzeitigkeit zu leben.

So schwankt mein Zustand regelmäßig zwischen «Mir geht es sehr gut» und «Ich hab’s jetzt gesehen, können wir bitte zum normalen Leben übergehen?». Eigentlich ist es kein Entweder/Oder, sondern ein Gleichzeitig. Ich möchte lernen, in der Gleichzeitigkeit zu leben.

So ist es auch mit meinen Gedanken zum Jahresanfang. Ich habe gleichzeitig das Bedürfnis, das Leben im Griff zu haben, das Familienschiff steuern zu können, und den Wunsch, im Vertrauen auf Gott loszulassen, was ich sowieso nicht beeinflussen oder kontrollieren kann. Um damit meinen Kindern und uns ein Leben ohne Ängste möglich zu machen.

Angst haben kann man nämlich immer. Ich denke an die kürzlich ausgestrahlte SRF-Sendung «Mona mittendrin», die ein Team auf der Neonatologie im Kantonsspital Aarau begleitet hat. Für manche Eltern beginnt das Elternsein mit einem Maximum an Sorgen und Kontrollverlust. Als meine Nichte geboren wurde, haben wir das hautnah miterlebt. Sorgen oder Bedenken scheinen aktuell auch mit der Maskenpflicht für Grundschüler zusammenzuhängen. Diese führt laut Zeitungsberichten dazu, dass vermehrt Eltern ihre Kinder aus Schule nehmen möchten. Und so gibt es unzählige weitere Ängste. Ganz sicher hat unser Umgang mit den Herausforderungen im Leben Einfluss auf unsere Kinder und darauf, wie sie ihren Herausforderungen begegnen.

Und gleichzeitig passieren unzählige gute Dinge – wenn man sie sieht oder sie selbst sagt/tut/schafft.

Damit zurück zur Gleichzeitigkeit. Die Erfahrung zeigt, dass das Leben selten nur in den ruhigen, friedlichen Gewässern der Glückseligkeit stattfindet. Irgendeine Herausforderung steht meistens an. Und gleichzeitig passieren unzählige gute Dinge – wenn man sie sieht oder selbst sagt/tut/schafft. Für dieses noch junge Jahr halte ich mir deshalb zwei Dinge vor Augen: 

Erstens habe ich die Ressourcen, um Herausforderungen zu bewältigen. Und wenn nicht, kann ich mir Hilfe von außen holen. Auch meine Kinder können ihre Herausforderungen, unter Umständen mit Hilfe, bewältigen. Das Ergebnis: Gemeinsam werden wir resilient(er).

Zweitens übe ich mich als Momentesucherin – in Anlehnung an Pippi Langstrumpf, die Sachensucherin wurde: „Was ist das?”, fragte Thomas. „Jemand, der Sachen findet, wisst ihr. Was soll es anderes sein”, sagte Pippi. „Die ganze Welt ist voll Sachen, und es ist wirklich notwendig, daß jemand sie findet. Und das gerade, das tun die Sachenfinder.” „Was sind denn das für Sachen?”, fragte Annika. „Ach, alles Mögliche”, sagte Pippi. „Goldklumpen und Straußenfedern und tote Ratten und Knallbonbons und kleine Schraubenmuttern und all so das.” (…) „Etwas findet man immer.“**

Die toten Ratten lasse ich weg. Unser Kater sorgt mit lebenden und toten Maulwürfen für genug Action in diesem Bereich. Aber ich werde Momente suchen und finden, in denen Lachen, Freundlichkeit und Fürsorglichkeit in unserer Familie passieren. Oder wenn ich unerwartet von einem Kind Gesellschaft beim Waldspaziergang erhalte. Oder wenn nach dem Essen alle zufrieden und satt am Tisch sitzen bleiben. Oder ein Kind nach der großen Langeweile kreativ wird. Oder eine Semesterprüfung bestanden hat. Oder  voller Freude merkt, dass es etwas Schwieriges gelernt hat. Oder sich alle auf das Brot frisch aus dem Ofen freuen. Oder wenn ich unerwartet für zwei Tage verreisen kann. Oder wenn eines der Kinder aus tiefstem Herzen sagt, was es doch für ein Glück habe, dass es zu unserer Familie gehört. Oder wenn es sich vor Lachen am Boden kugelt, ohne dass ich weiss, warum. Oder… oder…

Und es gibt sie doch: Zeiten, in denen alles rund läuft und alle glücklich sind: Dann gibt es nur eines. Eintauchen, genießen, auftanken, Erinnerungen schaffen, danken – und später Kraft daraus tanken!

Wo beeinflussen Ängste deinen Umgang mit Herausforderungen?

Wie kannst du üben, in der Gleichzeitigkeit zu leben?

Was sind deine Momente im ganz normalen Alltag mit den Kindern, in Windelbergen, Wäschechaos, Hausaufgaben, Einkaufslisten und beruflichen Verpflichtungen? 

Als Idee: Ich habe angefangen, die Momente mit dem Handy (Foto) festzuhalten. Wenn es dann passt und ich Zeit und Energie habe – also eher unregelmäßig, setze ich mich am Sonntagabend hin und lasse anhand der Bilder die Woche Revue passieren. In einem Notizbuch schreibe ich (häufig stichwortartig) auf, was mir wichtig geworden ist. 

*aus Astrid Lindgren, Pippi wird Sachensucher und gerät in eine Prügelei

Alexandra Kämpf ist verheiratet mit Richard. Zusammen haben sie drei  Töchter im Alter von 9 bis 19 Jahren.

Sie arbeitet bei FAMILYLIFE und verantwortet dort die Ehe- und Elternkurse.