Zwei unserer Kinder sind bereits etwas älter. Wenn sie mit ihrer jüngsten Schwester Zeit verbringen, dauert es nicht lange bis eine sagt: «Als wir so alt waren wie du…» Und dann folgt eine Geschichte, in der es nicht fehlt an Übertreibungen. Das steigert den Unterhaltungswert erheblich.

Es gibt aber auch Geschichten, die ohne Übertreibungen auskommen, weil sie tatsächlich so passiert sind. Lustigerweise geben vor allem die jährlichen Hüttenwanderungen meines Mannes mit den Mädchen viel her. Die Anreise mit dem Zug, der Aufstieg zur Hütte, viel freie Zeit am Nachmittag, ein deftiges Nachtessen und abendliche Kartenspiele sind die Fixpunkte. In der Regel kriegt dann eines der Mädchen wegen der Höhe Kopfschmerzen, deshalb sind im Gepäck auch immer ein paar Dafalgan mit dabei.

Auf einer dieser Wanderungen gehörten zur SAC-Hütte auch ein paar Hühner, die frei herumliefen. Zu ebendiesen Hühnern gesellte sich in der vielen freien Zeit am Nachmittag eines unserer Mädchen, ausgerüstet mit viel Neugier und einem Dafalgan. Was macht wohl ein Huhn mit einem Dafalgan? Gedacht, getan. Eine Antwort erübrigt sich; Hühner fressen alles. Nach dem Experiment hatte unsere Tochter Zeit, sich zuerst Gedanken und dann Sorgen zu machen. Früh am nächsten Morgen wurde die Schwester eingeweiht und zu den Hühnern geschickt. Diese waren mit einer Ausnahme guter Dinge. Die Ausnahme befand sich noch im Hühnerhaus – und im Tiefschlaf. Sehr besorgt weihten die beiden nun ihren Vater ein, der große Augen machte. Aber außer Frühstücken und Abwarten konnten die drei nichts tun. Nach dem Frühstück dann die große Erleichterung: Das mit Dafalgan gefütterte Huhn hatte das Hühnerhaus verlassen und spazierte –zwar ziemlich benommen – vor der Hütte umher.

Mit seinen immer leicht abenteuerlichen Hüttenwanderungen hat mein Mann bleibende Erinnerungen für die Kinder geschaffen. Das Huhn nimmt darin den Podestplatz ein. Aber auch Ferien, Rituale am Tisch oder beim Zu-Bett-Gehen oder das sogenannte Papa-Menu (Pasta mit Tomatensauce) gehören zu den Erinnerungen. Das Papa-Menu zeigt auch wunderschön auf, dass Erinnerungen manchmal leicht verzerrt daherkommen; mein Mann kocht viel mehr als nur Pasta und Tomatensauce…

Gute Erinnerungen verbinden wir mit Geborgenheit und Sicherheit. Sie geben Kraft, den Alltag zu bewältigen.

Jeder und jede von uns hat Erinnerungen an die eigene Kindheit. Manche sind schön, andere weniger und nicht wenige werden sich nicht ganz so abgespielt haben, wie wir heute meinen. Auf andere haben wir keinen Zugriff, weil sie in der frühen Kindheit stattfanden. Aber selbst Ereignisse, an die wir uns nicht oder nur bruchstückhaft erinnern können, beeinflussen uns später – über die abgespeicherten Emotionen, mit denen sie verbunden sind. Diese werden in ähnlichen Situationen wieder wach. Psychologen gehen davon aus, dass Sich-Erinnern eine positive Auswirkung auf die Persönlichkeitsentwicklung hat. Für Kinder ist es hilfreich, wenn wir mit ihnen über ihre Erlebnisse sprechen. «Indem man lernt bestimmte Dinge aus der Vergangenheit zu bewältigen, lernt man, seine Gefühle zu regulieren und mitunter positiv zu gestalten.»* Es ist entwicklungsfördernd, macht ausgeglichener und zufriedener. Eines unserer Kinder zum Beispiel erinnert sich mit Schrecken an den Moment, als es in der Primarschule auf einen Schlag 50 Verben und 80 Vokabeln lernen musste – nach längerem Aufschieben und Verdrängen. Es hat ihr geholfen, darüber zu sprechen. Gute Erinnerungen verbinden wir mit Geborgenheit und Sicherheit. Sie geben Kraft, den Alltag zu bewältigen. Deshalb: Lass uns gute Erinnerungen schaffen!

Uns auf alle Fälle bescheren die Erinnerungen der Kinder bereits jetzt viele Mahlzeiten mit lautem Gelächter und dem Gefühl der Zugehörigkeit. Und: Aus zuverlässiger Quelle wissen wir, dass unser Huhn überlebt hat.

Ferien, Alltagsrituale, gemeinsame Mahlzeiten – aus allem entstehen Erinnerungen. In welche Erlebnisse und Alltagssituationen willst du konkret investieren, um deinen Kindern gute Erinnerungen zu ermöglichen?

Ermuntere deine Kinder aktiv zum Erinnern, indem du Fragen stellst; zum Beispiel «Weißt du noch, wie das war für dich, als du …?». Oder (das haben wir nach dem ersten Covid-Jahr gemacht) fragt euch gegenseitig, was euch im letzten Jahr gefallen hat.

*Anke Schipp in der FAZ.NET

Alexandra Kämpf ist verheiratet mit Richard. Zusammen haben sie drei  Töchter im Alter von 9 bis 19 Jahren.

Sie arbeitet bei FAMILYLIFE und verantwortet dort die Ehe- und Elternkurse.