Wir, das sind meine 4-jährige Tochter, mein 6-jähriger Sohn und ich, fahren gemeinsam aufs Stockhorn. Das Stockhorn ist ein Gipfel in den Berner Voralpen. Eine steilabfallende Felswand beschreibt den Norden, auf der Südseite ist es eine Wiesenfläche. Wir wandern über den Strüssligrat nach Westen und suchen uns einen passenden Ort zum Übernachten. Die Kinder wandern ohne Gepäck und freuen sich auf das Abenteuer. An einer ausgesetzten Stelle helfe ich meiner Tochter und halte ihr ein paar Meter die Hand. So kann sie sicher weitergehen. Bei meinem Sohn möchte ich es genauso machen, doch er insistiert und sagt: «Päpu, das chani scho!»

Gefühlt bleibt die Zeit stehen. Mir schießen verschiedene Gedanken und Fragen durch den Kopf. Was sage ich jetzt? Kann mein Sohn die Situation richtig einschätzen? Wie gut kennt er sich? Was passiert, wenn er stolpert? Was, wenn ich mich mit meiner Idee durchsetze?

Ich akzeptierte seine Aussage und ließ ihn handeln. Ich sagte zu ihm: «Lass mir Zeit, ich trete zur Seite». Mein Handeln hatte mehrere Wirkungsebenen. Ich stellte mich in die mögliche Falllinie und war bereit, ihn aufzufangen. Das war aus meiner Wahrnehmung meine wichtigste Aufgabe. 

Welche zusätzlichen Wirkungsebenen diese Situation am Berg hatte, wurde mir erst viel später bewusst. Er verwendete diesen Satz in den nächsten 7 Jahren immer wieder. Jedes Mal war der Satz geprägt von Stärke und Überzeugung. In meiner Erinnerung meisterte er jede so angenommene Herausforderung, und ich freue mich über die Erfolgserlebnisse. Das eine oder andere Mal hätte ich die Aufgabe anders gelöst und genau hier setzen die zusätzlichen Wirkungsebenen an. 

Indem ich zur Seite stehe, kann er sich entfalten. Es ist sein Platz und nicht der des Vaters.

Wenn ich meinem Sohn Raum gebe, kann er seine Fähigkeiten ausleben. Er kann sich einbringen und wird dadurch ermutigt. Jeder Mensch hat das Bedürfnis, seinen Platz in der Gemeinschaft zu finden und einzunehmen. Indem ich zur Seite stehe, kann er sich entfalten. Es ist sein Platz und nicht der des Vaters. Kann ein Kind das erleben, wird es von sich aus weitere Aufgaben angehen.

Er erhält eine direkte Rückmeldung über seine Konzentration, sein Gleichgewicht und seine Koordination. Er lernt durch seine gemachten Erfahrungen und leitet daraus ab, was ihm gelingt. Wenn er strauchelt, kann ich ihn als Vater wieder ermutigen. Unabhängig vom Erfolg sage ich ihm unausgesprochen: «Ich glaube an dich.»

Wie leicht mache ich es meinem Kind? Ich beobachte unsere Gesellschaft und frage mich: Welche Schwierigkeiten nehme ich als Vater meinen Kindern ab, damit ich einfacher und schneller ans Ziel komme? Bin ich bereit, meinem Kind und mir ein Lernfeld zu ermöglichen?

Wo nimmst du als Mutter oder Vater deinem Kind Schwierigkeiten ab, damit es im Moment einfacher und schneller geht? 

Benjamin Wilhelm ist verheiratet mit Cornelia. Sie haben drei Kinder im Alter von 16, 13 und 11 Jahren.

Benjamin arbeitet bei FAMILYLIFE und ist dort zuständig für erlebnisorientierte Angebote.