Was bei uns momentan passiert, wenn unsere Jüngste ins Bett geht, erinnert mich an den Film Und täglich grüßt das Murmeltier. Jeden Tag schaffe ich es, in diesen letzten Minuten des Tages etwas zu sagen oder zu tun, das bei meiner Tochter zu einer kurzen, heftigen Krise führt und uns daran hindert, den Tag friedlich ausklingen zu lassen. 

Im erwähnten Film ist der Wettermoderator in einer Zeitschleife gefangen, der er nur als geläuterter Mensch entkommt. Meine Läuterung steht noch aus. Natürlich versuche ich mich so zu verhalten, dass wir den Abend ohne Krise beenden können, leider mit mäßigem Erfolg.

Bei der Arbeit haben wir im Januar einen Elternkurs zur Autonomiephase (früher Trotzphase genannt) durchgeführt. Kinder in dieser Phase streben nach Autonomie, sagen häufig Nein und bekommen scheinbar grundlos Wutanfälle. Und sie probieren alles Mögliche aus, das den Eltern missfällt: Geschirr oder Besteck auf den Boden werfen, WC-Papierrollen abrollen, im Straßenverkehr von den Eltern wegrennen etc.  

Die Autonomiephase und die Vorpubertät liegen zeitlich weit auseinander (und dazwischen gibt es noch andere spannende Phasen). Lustigerweise gibt es aber – wie bei allen Umbruchphasen im Kindesalter – neben vielen Unterschieden auch einige Parallelen. 

Das beginnt im Kopf: Das kindliche Gehirn ist in beiden Phasen eine Baustelle. Die einen müssen Empathie und Perspektivenwechsel lernen, um später im Leben zurechtzukommen; die anderen machen nicht zuletzt hormonbedingte Veränderungen durch. 

Das ist anstrengend für uns Eltern, mich lässt keine dieser Phasen kalt. Wir haben dann den Eindruck, dass das Kind ohne Unterbruch frustriert oder wütend ist. Und dass es gute Gründe gibt, sein Verhalten zu korrigieren. Und am Ende sind wir selbst frustriert und finden uns in einer Negativspirale wieder. 

Wut, Frust und ein unreifer Umgang mit Gefühlen sind normal.

Eine Möglichkeit, Wut und Frust zu minimieren, ist das Prinzip des Ja-Umfelds. Gerade in Umbruchzeiten ist die Impulskontrolle bei Kindern noch nicht oder vorübergehend nicht vorhanden. Erwachsene können ihre Impulse durch Selbstgespräche kontrollieren. Wenn sich bei der Arbeit jemand beim Kaffeeautomaten vordrängt, sage ich mir: „Nein, Alexandra, es ist keine gute Idee zu schimpfen”. Kinder können das noch nicht. Deshalb ist es wichtig, dass wir eine Umgebung schaffen, in der wir möglichst oft Ja und möglichst wenig Nein zu den Kindern sagen können. Beispielsweise richten wir Schubladen so ein, dass das Kleinkind die unteren Schubladen ausräumen darf. Und wir lassen das vorpubertäre Kind innerhalb bestimmter Grenzen seine freien Zeiten selbst planen. So müssen wir weniger Nein sagen, was einige Konfliktsituationen verhindert.

Aber nicht alle. Es gibt immer Situationen, die uns triggern; z. B. wenn das Kind nach dem Essen immer wieder seinen Löffel zu Boden fallen lässt. Oder schimpft, weil es sich am Haushalt beteiligen soll. Was hilft? Das Kind beim Gutsein erwischen. Also laut und lächelnd und vor dem Kind aussprechen, was es gut macht. “Oh, schau mal, XY (Name des Kindes) hat verstanden, dass der Löffel neben den Teller gehört”, wenn das Kind den Löffel dorthin legt. Oder: “Toll, wie du mitgeholfen hast, die Küche so schnell aufzuräumen”, wenn das Kind sich ohne Schimpfen am Haushalt beteiligt hat. Bis der Löffel immer auf dem Tisch abgelegt wird oder das Schimpfen aufhört, dauert es ein paar Tage, aber positive Rückmeldungen entfalten immer ihre Wirkung – und irgendwann ist das Thema erledigt. 

Wenn wir unsere Kinder beim Gutsein erwischen, schaffen wir eine gute Basis für all die Situationen, in denen unser Kind trotzdem wütend oder frustriert ist. 

Als Eltern müssen wir diese Momente nicht aus der Welt schaffen, sondern lediglich gut begleiten – im Wissen, dass das Kind dabei jedes Mal dazu lernt.

Damit bin ich wieder am Anfang: Wut, Frust und ein unreifer Umgang mit Gefühlen sind normal. Als Eltern müssen wir diese Momente nicht aus der Welt schaffen, sondern lediglich gut begleiten – im Wissen, dass das Kind dabei jedes Mal daraus lernt. Und täglich grüßt das Murmeltier.

Welches Verhalten deines Kindes findest du aktuell herausfordernd? 
Wie würde Gutsein konkret aussehen? Wie und wann könntest du es beim Gutsein erwischen?  
Wenn du den Eindruck hast, dass du viel zu oft Nein sagen musst: Was kannst du ändern, um ein Ja-Umfeld zu schaffen?

Alexandra Kämpf ist verheiratet mit Richard. Zusammen haben sie drei  Töchter im Alter von 11, 18 und 22 Jahren.

Sie arbeitet bei FAMILYLIFE und verantwortet dort den Elternbereich.