Während ich diesen Text tippe, bleibt mein Blick an meinen von Erde verkrusteten Fingernägeln hängen. Sie sind Zeugen meiner intensiven Gartenarbeit. Nach dem mehrtägigen Im-Dreck-wühlen warte ich jeweils Wochen auf ein visuelles Zeichen in Form eines Schösslings, das sich durch das Erdreich ans Tageslicht wagt. Ähnlich intensiv fühlt sich momentan die Erziehung meiner vier Kinder und die damit verbundene Tatsache an, dass meine Interventionen – mein Gut-Zureden, Hinweisen, Nachfragen, Loben, Ermahnen, Erklären, Ignorieren, Trösten usw. – selten das Wachstum zur Folge haben, welches ich mir unmittelbar erhoffe.

Es vergehen gefühlt Wochen des täglichen Dasselbe-Predigens, bis ich am Horizont einen Hoffnungsschimmer in Form einer minimalen Verhaltensänderung seitens der Kinder wahrnehme. Das ist zuweilen wahnsinnig zermürbend und lässt mich, öfter als mir lieb ist, an meinen parentalen Fähigkeiten zweifeln. Es liegt nahe, dass das Zauberwort an dieser Stelle Geduld heißen müsste und ich die afrikanische Weisheit des Grases, das nicht schneller wächst, wenn man daran zieht, längst hätte verinnerlichen müssen. Doch Geduld habe ich nicht nur momentan relativ wenig, ich bin ganz grundsätzlich mit einem eher ungeduldigen Naturell gesegnet. Kommt hinzu, dass ich als Psychologin darauf getrimmt bin, mich immer als erstes auf das Problem zu fokussieren. Ich sehe automatisch zuerst die Schwachstelle, das Symptom, das aus dem Weg geschafft werden will. Ganz zur Freude meiner fünf Familienmitglieder.

…und der Gabe zur Selbstreflexion

Aber déformation professionelle hin oder her – das soll hier keine Rechtfertigung für regelmäßige emotionale Wutausbrüche werden. Vielmehr ist es meine persönliche Hommage an die Selbstreflexion – die Fähigkeit, über sich selbst nachzudenken. Sie ist es nämlich, die mich schon aus so manch’ erzieherischen Sackgassen geführt hat. Die meinen Familienmitgliedern Verschnaufpausen ermöglicht und mir währenddessen den Fokus zurechtgerückt hat. Von der man ohne Hokuspokus, zu jeder Tages- und Nachtzeit Gebrauch machen, und die einem massive Therapiekosten ersparen kann. Die mir gerade jetzt in Zeiten der Ungeduld, des ständigen Augenrollens und Vor-mich-hin-Stöhnens eine ungemein wohltuende Helferin ist. Sie erdet mich und wirft mich auf mich, meine Auslöser, meine unbefriedigten Bedürfnisse, unausgesprochenen Erwartungen, Träume und Hoffnungen zurück. Sie fordert mich heraus, dort mein aktives Bemühen und Intervenieren sein zu lassen, wo es nicht hilfreich ist, und stattdessen bei mir selbst zu beginnen. Und letztendlich ist sie es, die mich auf meinen Schöpfer simplifiziert, der Mitfühlender meiner Nöte und mir genau in solchen sensiblen Grübel-Momenten besonders nah ist.

Meine Ungeduld wird sich nicht von heute auf Morgen in Luft auflösen – Selbstreflexion hin oder her. Doch was eine kritische Selbstanalyse bei mir jedes Mal bewirkt, ist eine gesunde Distanz zum Problem, das automatisch weniger prioritär wird.

Gleichzeitig rücken wichtigere Dinge in den Fokus. Wie meine Fingernägel. Die geh’ ich jetzt mal gründlich waschen.

 

Falls es wieder einmal Zeit ist, wichtigere Dinge in deinen Fokus zu rücken, dann halte einen kurzen Moment inne. Welche aktuellen Sorgen und Herausforderungen dürfen getrost eine Weile zur Seite gelegt werden?

Angi Schmidt ist verheiratet mit Jonathan. Zusammen haben sie vier Kinder im Alter von 4 bis 9 Jahren. Sie ist Psychologin, arbeitet bei Campus für Christus und leitet die Redaktion des Amen Magazin.