Vor einiger Zeit ist bereits die zweite Tochter von zu Hause ausgezogen, in eine Wohngemeinschaft mit zwei Freundinnen. Ein idealer Zeitpunkt, um Bilanz zu ziehen. Wir fragten beide Töchter nach einem gemeinsamen Mittagessen: «Was fandet ihr gut an unserer Erziehung? Was würdet ihr gleich machen? Und was war nicht hilfreich?

Überrascht hat uns der erste Punkt, den unsere Töchter erwähnt haben. «Ich fand es positiv, dass wir erst fernsehen durften, wenn es dunkel wurde. Dass der Tag klar für andere Aktivitäten bestimmt war.» Wie kommen unsere Töchter dazu, eine für Kinder so unpopuläre Regel zu schätzen? Eine Regel, die heute mit den allgegenwärtigen Medien wohl nur sehr schwer durchzusetzen wäre? Die Kinder empfanden es als sehr wertvoll, dass wir als Familie einen gewissen Tagesrhythmus lebten. Sie liebten das freie Spielen und Kreativität. Tagsüber nutzten sie die freie Zeit zum Basteln, Zeichnen, Theater spielen, Rumturnen im Garten oder für Ausflüge mit dem Velo. Auch die gemeinsamen regelmäßigen Essenszeiten, das Ritual vom Geschichtenerzählen und Beten vor dem zu Bett gehen, gaben ihnen Halt und Freude. Und sie waren begeistert, wenn wir dann abends gemeinsam einen Film anschauten.

Natürlich empfanden sie nicht alles als hilfreich. Eine Tochter fand es übertrieben, dass wir mit ihr einen Vertrag aushandelten, als sie neu Facebook nutzen wollte. Es hätte genügt, über die Chancen und Gefahren von Facebook zu sprechen. Sie empfand die Abmachung als zu kontrollierend. Und die andere Tochter hat den Samichlaus schräg erlebt: «Da kommt ein fremder Dude ins Haus und erzählt dir, was du falsch machst!»

Es ist nicht möglich, heute einen Blick in die Zukunft zu werfen und treffsicher die richtigen Erziehungsmaßnahmen zu ergreifen.

Es ist nicht möglich, heute einen Blick in die Zukunft zu werfen und treffsicher die richtigen Erziehungsmaßnahmen zu ergreifen. Doch wir Eltern dürfen vertrauen, dass sich – mit der richtigen Herzenshaltung –  vieles bewähren wird. Hilfreich ist, wenn Eltern ihre Werte und Ãœberzeugungen kennen und diese vor allem selbst vorleben. Und dazu dürfen wir in Freiheit eigene Familientraditionen entwickeln. Wenn wir aus Liebe handeln und korrigierbar bleiben, dann verursachen auch Fehler keine bleibenden Schäden bei den Kindern.

Und wenn sie erwachsen sind, dürfen wir uns über all ihre positiven Seiten freuen, die sie «trotz uns» entwickelt haben.

Was wird sich in der Erziehung unserer Kinder bewähren?
Wofür werden sie uns Eltern später dankbar sein? Wofür nicht?
Und: Wofür bist du deinen eigenen Eltern dankbar und möchtest es deinen Kindern ebenfalls weitergeben?
Welche Erfahrungen nehmen die Kinder als positiven Erinnerungsschatz mit fürs Leben?

 

Urs Wolf ist Vater dreier Mädchen, die mittlerweile alle erwachsen sind. Von den drei Töchtern sind zwei bereits ausgeflogen.

Er ist Autor verschiedener Bücher über Lern- und Arbeitstechniken. Zusammen mit seiner Frau Heidi hält er Seminare für Eltern, die ihre Kinder schulisch unterstützen wollen (www.erfolginderschule.ch).