Wenn man kleine Kinder hat, ist das Elternsein eine Aneinanderreihung von Premieren. Lauter aufregende erste Male, die mit der Kamera oder im Babytagebuch festgehalten werden. Das erste Lächeln, die ersten Schritte, der erste Zahn, das erste Mal durchschlafen, Schokolade essen, alleine in die Spielgruppe gehen. Alles korrekt datiert und schön dokumentiert. Wie aufregend! (Die Tränen, die Anstrengung und all das Klebrige dazwischen lasse ich in meiner Retrospektive ignorant weg.)

Werden die Kinder größer, nimmt die Häufigkeit der spannenden Debüts ab. Anstelle der Glitzermomente auf dem roten Teppich tritt eine konstante Schulkinder-Alltagsromantik (Hausaufgaben, Bildschirmzeit und unaufgeräumte Zimmer). Ich war dementsprechend erfreut, als nach einer längeren, ereignislosen Phase endlich wieder etwas noch nie Dagewesenes auf uns zukam. Gleich zwei Premieren auf einen Schlag. 

Ein Kind kommt nicht für seine Eltern auf die Welt. Es ist nicht da, um die Erwartungen der Erwachsenen zu erfüllen, sondern um zu dem Wesen zu werden, das in ihm angelegt ist.

Meine Zwölfjährige und ich saßen mit hochgereckten Hälsen in der vierten Reihe der Aula in der Kantonsschule Bülach. Mit uns 400 weitere Eltern-Kind-Pakete. Informationsabend zum Langzeitgymnasium – der Beginn eines eventuellen, neuen Kapitels. Nach 90 Minuten Diagrammen, Berechnungen der Erfolgschancen, virtuellem Rundgang, Musik vom hauseigenen Brass-Quartett, nervösen Blicken und überambitionierten Publikumsfragen war mir vor allem eines klar: Ein Kind kommt nicht für seine Eltern auf die Welt. Es ist nicht da, um die Erwartungen der Erwachsenen zu erfüllen, sondern um zu dem Wesen zu werden, das in ihm angelegt ist. Als gläubiger Mensch füge ich hinzu: Um in seine vom Schöpfer erdachte Originalausführung hineinzuwachsen. Es darin zu unterstützen, ist unsere Aufgabe.

 Die zweite Premiere ist der Berufsfindungsprozess unserer Vierzehnjährigen. Für uns als Familie ein völlig unbekanntes Feld – ich wusste nicht einmal, dass es Berufe wie «Polydesignerin 3D» oder «Entwicklerin digitales Business» gibt. Eltern lieben es ja, wenn schon ihre 9-Jährigen kompetent verkünden, dass sie Pilot oder Hochbauzeichnerin werden wollen oder wenn Kids über Pro und Contra der KV-Lehre diskutieren. Dreikäsehochs mit klaren Zukunftsvorstellungen amüsieren uns. Jugendliche mit klaren Berufszielen beeindrucken uns. Solche, die keinen Plan haben, machen Eltern nervös. 

Bei uns ist Letzteres der Fall. Obwohl unsere Tochter ihre Tests und Schnupperlehren absolviert hat und wir brav unsere Häkchen im Beobachtungsbogen für Eltern gesetzt haben, hat sich noch kein Berufswunsch herauskristallisiert. Nervös macht mich das nicht. Natürlich muss sie irgendwie ihren Weg finden. Aber die Frage, die wir schon den Kleinsten stellen: «Was willst du mal werden, wenn du groß bist?», halte ich schlicht für doof. 

Wir sollten daher unsere heranwachsenden Kinder vielmehr auffordern, darüber nachzudenken, wie sie gestrickt sind und was für ein Mensch sie einmal sein wollen.

Erstens, weil kleine Kinder eigentlich berühmt, mutig, eine Elfe oder ein Superheld sein wollen. Und bestimmt nicht dipl. Gebäudetechniker HF. Zweitens, weil die Frage die Kinder zwingt, sich über einen Beruf zu definieren. Wenn der Job uns ausmacht, hängt unser Selbstwert davon ab, wie erfolgreich wir sind. Und da wollen wir ja nicht hin. Drittens, weil es später nicht wirklich darum geht, was man macht, sondern wie man es macht. Wir sollten daher unsere heranwachsenden Kinder vielmehr auffordern, darüber nachzudenken, wie sie gestrickt sind und was für ein Mensch sie einmal sein wollen. Denn egal ob Anwältin, Mediamatiker oder Fachfrau Betreuung – die Frage ist nie, was du tust, sondern immer nur wie du es tust.    

Was hast du bereits über das Wesen, das «Original Design» deines Kindes herausgefunden? 
Wie kannst du es in seiner Wesensart bestärken? Welche Unterstützung / welchen Rahmen braucht es für seine Entwicklung? 
Welche Erwartungen hast du bewusst oder unbewusst an den Werdegang deines Kindes? Reflektiere deine Haltung.

Tamara Boppart textet und ist als Rednerin unterwegs. Sie arbeitet bei Central Arts, einer Bewegung von Kreativen in den populären Künsten.

Sie ist verheiratet mit Andreas „Boppi“ Boppart und Mutter von vier Töchtern. Zusammen mit einer anderen Familie lebt sie gemeinschaftlich unter einem Dach im Zürcher Unterland.Â