Eine Mutter spielt mit ihrem Baby. Plötzlich zeigt sie keine Reaktion mehr, sondern schaut ihr Kind nur noch ausdruckslos an. Das Baby versucht zunächst mit allen Mitteln, die Aufmerksamkeit der Mutter auf sich zu lenken und sie zu einer Reaktion zu bewegen. Dann wendet es sich ab und versucht, sich abzulenken und sich zu beruhigen. Doch schon nach kurzer Zeit verliert es die Beherrschung und bekommt einen verzweifelten Wutanfall. Diese Szenen spielen sich beim Still Face Experiment ab, das 1975 erstmals von Edward Tronick durchgeführt wurde und die Entwicklungspsychologie maßgeblich geprägt hat.

Erstaunlicherweise reagieren wir als Erwachsene immer noch genauso wie als Baby, wenn unsere wichtigste Bindungsperson nicht auf uns reagiert. Natürlich haben wir mit zunehmendem Alter gelernt, unsere Reaktionen besser zu verbergen. Und unsere primäre Bezugsperson ist nicht mehr unsere Mutter oder unser Vater, sondern unsere Partnerin oder unser Partner. Aber der Prozess bleibt der gleiche: Wenn unser Gegenüber nicht auf uns reagiert, protestieren wir und üben Druck aus. Wenn das nichts nützt, wenden wir uns ab und verschließen uns, um uns vor der Zurückweisung zu schützen. Schließlich verlieren wir die Nerven.

Wenn unsere wichtigste Beziehung bedroht ist, startet in unserem Gehirn automatisch ein Programm, das diese Beziehung wiederherstellen will. Obwohl ein Beziehungsabbruch im Erwachsenenalter nicht mehr lebensbedrohlich ist, reagieren wir mit der gleichen Heftigkeit wie ein Baby.

Der Nobelpreisträger und Holocaust-Überlebende Ellie Wiesel sagte: „Das Gegenteil von Liebe ist nicht Hass, sondern Gleichgültigkeit“. Er hat recht. Gleichgültigkeit ist Gift für jede Beziehung.

Auf die Verbindungsversuche des anderen nicht mehr einzugehen, sich nicht mehr dafür zu interessieren, was die Partnerin beschäftigt, oder wichtige Themen nicht mehr miteinander zu besprechen, weil man glaubt, man wisse schon, was der Partner dazu denkt. All dies sind Ausdrucksformen des „Still Face“ in einer Partnerschaft.

Leider neigen wir dazu, uns mit zunehmender Dauer einer Beziehung immer weniger füreinander zu interessieren. Wir glauben, unseren Partner zu kennen. Dabei kennen wir nur das Bild, das wir uns von ihm gemacht haben.

Zum Glück gibt es Möglichkeiten, dem „Still Face“ in der eigenen Partnerschaft vorzubeugen. Eine echte Begegnung kann dann stattfinden, wenn wir körperlich, gedanklich und emotional anwesend und für unseren Partner verfügbar sind. Das geschieht bei den meisten Paaren nicht einfach so im Alltag, sondern nur, wenn diese Momente konkret geplant werden. Doch schon wenige Minuten ungeteilter Aufmerksamkeit können Wunder wirken und die Frage beantworten, die uns seit unseren ersten Lebensjahren umtreibt: „Bin ich ihr oder ihm eigentlich noch wichtig?“

 

NEXT LEVEL FÃœR MEINE BEZIEHUNG:

Was tust du, um der natürlichen Tendenz hin zum „Still Face“ in deiner Partnerschaft entgegenzuwirken?