Lisa und Jan waren glücklich verheiratet. Zumindest schien es von außen so. Doch in Wirklichkeit fühlte sich Lisa einsam, erschöpft und alleingelassen. Sie konnte sich nicht mehr daran erinnern, wann sie und Jan das letzte Mal so richtig zusammen gelacht hatten. Auch tiefgründige Gespräche und guter Sex waren Ereignisse mit Seltenheitswert.

Eines Abends hatte Lisa ein besonderes Gespräch mit Dennis, ihrem neuen Arbeitskollegen. Er war so anders als Jan. Sie konnten zusammen lachen. Und er war verständnisvoll und interessierte sich für sie. Also erzählte sie ihm von ihrer Ehe und wie schwer es für sie war.

Es gab kein Händchenhalten und auch keinen Kuss. Trotzdem war da dieses Kribbeln. Auf dem Heimweg wurde ihr klar, dass sie mit Jan darüber reden musste. Sie sollte ihm sagen, dass sie sich Sorgen um ihre Beziehung machte, weil sie keinen Spaß mehr miteinander hatten und auch keine tiefen Gespräche mehr. Aber wie würde Jan darauf reagieren? Wahrscheinlich würde er ihr sagen, dass er ihre Ehe auch ziemlich ätzend fand, aber dass er deshalb nicht gerade mit der nächstbesten Arbeitskollegin flirten würde. Auf diesen Schlagabtausch hatte sie keine Lust. Es würde nichts bringen und am Ende würde sie sich nur wieder schuldig fühlen. Also beschloss sie, Jan nichts zu sagen. Es ist ja schließlich auch gar nichts passiert.

Die Psychologin Shirley Glass vergleicht in ihrem Buch „Not Just Friends“ eine stabile und intime Beziehung mit einem Haus. Neben einem starken Fundament benötigt es Mauern, damit es seine Funktion erfüllen und auch Stürmen standhalten kann. Mauern repräsentieren in diesem Bild die Grenzen zwischen der Partnerschaft und der Außenwelt. Sie sorgen für Privatsphäre und einen geschützten Innenraum. Sie geben uns Sicherheit.

Die beiden Partner sind wie zwei Räume, die durch ein Fenster getrennt sind. Dieses Fenster steht für eine offene und transparente Kommunikation. Je näher sich die beiden Partner sind und je mehr sie sich gegenseitig Einblick in ihr Innenleben gewähren, desto größer ist dieses Fenster zwischen ihnen. Wenn die Außenmauern stabil sind, fühlt sich eine Beziehung sicher an und es ist leichter, das Fenster zum Partner zu öffnen und sich ihm ganz zu zeigen.

Wir haben die Möglichkeit, Fenster zu anderen Menschen zu bauen. Lisa hat Dennis einen tiefen Einblick in ihre Ehe gegeben und somit ein Fenster in die Außenmauer eingebaut. Eigentlich ist noch nicht viel passiert, aber genau so fängt fast jede Affären an.

Wenn die Außenmauer einer Partnerschaft verletzt wird und ein zu großes Fenster zu einem anderen Menschen eingebaut wird, führt das dazu, dass gleichzeitig das Fenster zum Partner zugemauert wird. Es gibt jetzt eine neue Mauer, die Jan von der neu entstandenen Freundschaft zwischen Lisa und Dennis ausschließt. Weil Lisa ihrem Mann etwas verheimlicht, wird die Distanz zwischen ihnen noch größer. Sie fühlt sich noch einsamer. Und als sie das nächste Mal mit Dennis spricht, ist ihr Wunsch noch größer, sich ihm anzuvertrauen und mit ihm die tiefen Gespräche zu führen, die sie mit ihrem Mann nicht mehr führen kann.

Menschen in solchen Situationen reden sich oft ein, dass eine solche „rein platonische Außenbeziehung“ kein Problem sei, weil niemand verletzt werde, solange sie geheim bleibe. Aber das stimmt nicht. Es wird sehr wohl jemand verletzt, nämlich der Geheimnisträger selbst. Er ist nicht mehr frei, seiner Partnerin emotional nahe zu sein. Er verliert die wichtigste Person in seinem Leben und die Intimität der Paarbeziehung wird unwiderruflich beschädigt.

Die Mauern um die Partnerschaft von Lisa und Jan sind beschädigt. Um zu verhindern, dass aus der Freundschaft zwischen Lisa und Dennis eine ausgewachsene Affäre mit einem bösen Ende für alle Beteiligten wird, müssen sie das Fenster zwischen sich wieder öffnen. Bei den meisten Affären steht nicht der Sex im Vordergrund, sondern die Suche nach jemandem, der einem zuhört, versteht und Interesse zeigt. Und natürlich kommt dann meistens auch noch der Sex dazu. Lisa muss mit Jan darüber reden, auch wenn das schmerzhafte Gespräche sein werden. Nur so kann verhindert werden, dass das Fenster zum Partner komplett zugemauert wird.

 

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