Manchmal spielen unsere Kinder mit der Holzeisenbahn. Die Wagen können mit einem einfachen Magneten aneinandergekoppelt werden. Da dies nur mäßig spannend ist, entdeckten unsere Kinder schnell, dass sich die Magnete nicht mehr anziehen, sondern abstoßen, wenn man einen Wagen umdreht. Der eine Wagen schiebt dann den anderen in immer etwa gleichem Abstand vor sich her, ohne ihn zu berühren. Natürlich kann man auch die Richtung wechseln, sodass der flüchtende Wagen zum Verfolger wird und umgekehrt. Das ist ein passendes Bild für eine Paardynamik, die mir immer wieder begegnet.

Liebespartner sind wie zwei Wagen mit sich abstoßenden Magneten. Dabei übernimmt einer der beiden die Rolle des Verfolgers. Er gibt Energie in die Beziehung und will dem anderen näherkommen. Er will Zeit miteinander verbringen. Er drängt auf mehr Nähe und Verbundenheit. Er wünscht sich, dass die Partnerin sich ihm emotional öffnet und ihre Gefühle und Lebensträume mit ihm teilt.

Die Partnerin hingegen achtet darauf, dass eine gewisse Distanz zwischen den beiden gewahrt bleibt. Sie setzt sich dafür ein, dass beide auch ihren eigenen Interessen nachgehen können. Wenn es zu persönlich wird, weicht sie aus. Je mehr der andere drängt, desto mehr verschließt sie sich oder zieht sich zurück. Sie ist auf der Flucht.

Auf den ersten Blick scheint die Sache klar zu sein: Das Problem ist die Person, die sich zurückzieht. Der flüchtende Wagen. Würde er oder sie sich mehr öffnen und mehr Nähe zulassen, wäre die Beziehung verbundener und intensiver. In vielen Partnerschaften sind es die Männer, die wortkarg und gefühlskalt werden und die dann oft auch dem Vorwurf der Partnerin, sich nicht zu öffnen und keine Nähe zuzulassen, wenig entgegenzusetzen haben.

Bei näherer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass dies meist nicht die ganze Wahrheit ist. Das Paar sorgt nämlich gemeinsam dafür, dass eine gewisse Distanz gewahrt bleibt. Kommt der eine näher, zieht sich der andere sofort wieder zurück, um einen sicheren Abstand zu wahren. Denn zu viel Nähe ist für uns bedrohlich. Je näher man sich kommt, desto verletzlicher wird man. Und wer sich zu nahe kommt, läuft Gefahr, sich in der Beziehung zu verlieren. Deshalb einigen sich Paare ohne explizite Absprache auf einen fixen Abstand, den sie beide gut aushalten können. Diesen Abstand weder zu groß noch zu klein werden zu lassen, ist eine Herausforderung. Am einfachsten geht es, wenn man sich die beiden komplementären Rollen aufteilt. Jemand übernimmt den Part des Flüchtenden, der andere den Part des Verfolgers.

Es kann vorkommen, dass die Partner ihre Rollen tauschen. Wenn der bisher flüchtende Partner plötzlich mehr Nähe sucht, wird es der Person, die bisher die Rolle des Nähefordernden eingenommen hat, zu nahe und sie ergreift die Flucht. Der Zug ändert die Fahrtrichtung. Solche Richtungswechsel finden häufig rund um wichtige Lebensereignisse wie Hochzeit, Geburt, Auszug der Kinder oder Pensionierung statt. Manchmal reicht aber auch schon eine gewisse Unzufriedenheit mit dem Status quo der Beziehung aus, um die Rollen zu tauschen. Die Tatsache, dass es bei vielen Paaren im Laufe der Beziehung zu einem solchen Rollentausch kommt, zeigt, dass die gewählte Distanz von beiden gewollt ist und nicht nur von der flüchtenden Person.

Abgesehen davon, dass sich beide darüber wundern, dass der Partner wie ein umgekehrter Handschuh ist, ist mit dem Rollentausch natürlich noch nicht viel für eine erfüllendere Beziehung getan. Die Distanz bleibt ja gleich. Dennoch ist der Rollentausch oft der entscheidende Schritt, der zu der Erkenntnis führt, dass nicht der andere das Problem ist, sondern die eigene Fähigkeit, Nähe und Verletzlichkeit auszuhalten, ohne gleich mit dem anderen zu verschmelzen und die eigene Individualität aufzugeben. Diese Fähigkeit kann verbessert werden, indem die eigene Identität stärker aus einer externen Quelle – wie der Beziehung zu Gott – gespeist wird und weniger von der Partnerschaft abhängig ist. Und indem man es immer wieder wagt, sich verletzlich und nahbar zu zeigen und dabei die Erfahrung zu machen, dass sich diese Nähe zwar bedrohlich anfühlt, aber ganz gut überlebt werden kann.

 

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Wie sieht das in eurer Beziehung aus? Erkennst du dich eher in der Rolle der Verfolgerin oder des Flüchtenden?