Unter mir knirscht der Waldboden. Es ist ein Donnerstagnachmittag, zwei Wochen nach der Geburt unseres Sohnes. Ich bin mit meinem Mountainbike im Wald unterwegs. «Endlich, darauf habe ich mich so gefreut,» denke ich, als mir der Fahrtwind um die Nase weht und ich die Natur rund um mich herum aufsauge. Ich trete in die Pedale, den Berg hinauf und spüre die Energie in meinem Körper. «Darf ich das?», schießt es mir durch den Kopf und das schlechte Gewissen macht sich breit. Ich denke an meine Frau, die mit unserem Sohn zu Hause ist – müde und total gefordert. Ich denke an unseren Sohn, auf den wir voller Vorfreude gewartet haben und der jetzt da ist.

Habe ich nichts Besseres zu tun, als mir mein Mountainbike zu schnappen und mich meinem Hobby zu widmen? Ist das nicht egoistisch?

Wir alle haben Bedürfnisse (siehe Blog «Die Konfetti-Familie»). Die große Frage ist, wie wir damit umgehen, wer involviert ist und wer bestimmt, was in Ordnung ist und was nicht. Ich bewege mich mit meinen Bedürfnissen nicht im luftleeren Raum. 

So ist es auch mit unserer kleinen Familie. Wir sind wie das Mobile ein System, in dem sich die einzelnen Familienmitglieder gegenseitig beeinflussen und aus dem Gleichgewicht bringen.

Über dem Wickeltisch haben wir, wie so manche Eltern, ein Mobile aufgehängt. Dieses gefällt nicht nur meinem Sohn; es wurde für mich zu einem Symbol unserer Lebensrealität. Gerät ein Element des Mobiles in Bewegung, hat dies einen Einfluss auf das ganze Mobile. Alle anderen Elemente geraten ebenfalls in Bewegung und es dauert einen Moment, bis das Mobile wieder ausbalanciert ist. So ist es auch mit unserer kleinen Familie. Wir sind wie das Mobile ein System, in dem sich die einzelnen Familienmitglieder gegenseitig beeinflussen und aus dem Gleichgewicht bringen. Und weil Systeme immer versuchen, wieder in ein Gleichgewicht zu kommen, versucht auch die Familie automatisch, wieder in ein Gleichgewicht zu kommen. 

Diese Selbsterhaltung nennt man in der Systemforschung Autopoiese. Systeme können nur bestehen bleiben, wenn sie in dieser Wechselwirkung zwischen Bewegung und Stabilisation sind. Ich bin in mir selbst ein System von Körper, Geist und Seele. Mein System bewegt und reguliert sich. Meine Frau ist ein System und unser kleiner Sohn auch. Sobald wir zusammenkommen, bilden wir ein neues System. Zu diesem System gehöre ich. Ich kann mich nicht herausnehmen. Ich kann nicht wie durch ein Schlüsselloch auf meine Familie, meine Ehe oder mein Leben schauen, sondern bin ein aktives Teil davon, das die anderen Teile beeinflusst. 

Wenn ich mit meinem Mountainbike durch den Wald fahre, hat dies kurzfristig einen belastenden Einfluss auf das Familiensystem. Meine Frau ist noch mehr gefordert und mein Sohn spürt meine Abwesenheit. Aber diese wohltuende Aktivität bringt dafür mein eigenes System wieder ins Gleichgewicht, was sich positiv auf unsere Familie auswirkt. Das weiß ich und das weiß auch meine Frau. Beide versuchen wir, unsere Familie als System zu sehen. Da stehen weder ich noch meine Frau oder unser Sohn im Zentrum. Viel mehr fragen wir uns immer, was unser System braucht. Wo müssen wir etwas wieder ins Gleichgewicht bringen? Wo haben wir etwas aus den Augen verloren, das unser Familiensystem aus dem Gleichgewicht bringen könnte? Und wo immer wir an einer Schraube drehen, beeinflussen wir die anderen und das Gesamtsystem. 

Wie sieht dein Familiensystem aus? Wer ist Teil davon? Nimm dir Zeit, dein System aufzuzeichnen (wie ein Mindmap oder Mobile). 
Was ist deine Rolle in deinem Familiensystem? Wie steht es um die Verbindungen und Beziehungen im System? Wo ist das System aus dem Gleichgewicht? Wo kannst oder musst du etwas wieder stabilisieren?

Phil Wegenstein ist verheiratet mit Corina. Zusammen haben sie einen Sohn im Alter von 11 Monaten.

Er arbeitet bei FAMILYLIFE in den Bereichen Eltern und erlebnisorientierte Angebote.