In einer langjährigen Partnerschaft kommen wir nicht an diesem Punkt vorbei. Irgendwann reiben wir uns heftig an der Andersartigkeit des Partners. Die Charakterzüge, die wir anfangs noch so attraktiv fanden, entpuppen sich zunächst als nervig, später vielleicht sogar als unerträglich.

Was uns jetzt abstößt, ist genau das, was uns einst angezogen hat. Das wissen wir, das durchschauen wir (manchmal). Aber was hilft das? Nur weil ich weiß, dass ich früher seine Spontaneität geschätzt habe, hilft mir das noch nicht, heute besser mit seiner nervenaufreibenden Planlosigkeit umzugehen.

Und nur weil ich weiß, dass ich mich damals in ihre emotionale Bedürftigkeit verliebt habe, heißt das doch noch lange nicht, dass mich ihr jämmerliches Opfergetue heute nicht zur Weißglut treibt.

Um einen gesunden Umgang mit den nervigen Eigenschaften unseres Gegenübers zu finden, bedarf es einer zweiten Einsicht. Dieser zweiten Einsicht können wir uns nähern, wenn wir uns die Frage „Was hat das mit mir zu tun?“ stellen.

Diese Frage klingt in unserem Kopf immer ziemlich absurd, etwa so: „Was hat es mit mir zu tun, dass mein Partner keine Verantwortung übernimmt und ich nicht nur alleine für unsere Kinder denken muss, sondern dazu auch noch ein erwachsenes Kind im Haushalt habe?“

Wenn wir diese Frage dann ehrlich beantworten, werden wir feststellen, dass es selbstverständlich auch etwas mit uns zu tun hat. Sogar mehr, als uns lieb ist.

Viele, die sich die Zeit nehmen, dieser Frage nachzugehen, stellen fest, dass das, was sie an ihrem Partner hassen, eigentlich ihre eigenen Sehnsüchte sind. Michael beispielsweise hat eine total verantwortungslose Frau. So würde er es nennen. Er, der selbst sehr gewissenhaft ist. Diese Eigenschaft seiner Partnerin treibt ihn die Wände hoch, weil er sich selbst wünschen würde, mal ein bisschen unbeschwerter durchs Leben zu gehen. Genau deshalb fand er das anfangs ja auch so anziehend an ihr. Aber jetzt triggert es ihn nur noch. Sie lebt das aus, was er sich verbietet. Klar bringt ihn das auf die Palme.

Die Lösung besteht darin, sich selbst die Eigenschaften zu erlauben, die man am Partner so wütend verabscheut. Sich selbst zuzugestehen, auch mal leichtsinnig zu entscheiden, auch mal unpünktlich zu sein, auch mal auf die eigenen Bedürfnisse zu achten, auch mal loszulassen und die Kontrolle abzugeben. Die Andersartigkeit meiner Partnerin ist ein Angebot, diese Eigenschaft zu entwickeln, die ich entweder aus meinem Leben verbannt habe oder die ich gar nie ausbilden durfte. Und wenn mir das bis jetzt noch nicht gelungen ist, dann ist das nicht die Schuld meiner Partnerin.

Wer die Andersartigkeit des Partners als die eigene Sehnsucht entlarvt, hat gewonnen. Er kann sich dann entscheiden, etwas davon zum eigenen Sein hinzuzunehmen, und so einen persönlichen Heilungsprozess zu starten, der auch die Sicht auf den Partner massiv verändern wird.

 

NEXT LEVEL FÃœR MEINE BEZIEHUNG:

Überlege dir, was die negativen Eigenschaften deines Gegenübers mit dir zu tun haben. Oder anders gefragt: Was erlaubt er / sie sich, was ich mir nicht zugestehe?