Häufig geht es bei Paarkonflikten gar nicht um die Sache, über die man tatsächlich spricht. Man diskutiert über etwas, das nur eine Stellvertretung für ein anderes Thema ist. Das machen wir, weil es uns schwerfällt, unsere eigene Verletzlichkeit uns selbst und erst recht unserem Gegenüber einzugestehen. Lieber streiten wir über die mangelnde Unterstützung im Haushalt, als dass wir zugeben würden, dass wir uns eigentlich Sorgen machen, dass wir der Partnerin nicht mehr so wichtig sind. Oder wir streiten über zu lange Arbeitszeiten, statt zuzugeben, dass wir Angst davor haben, auf der Prioritätenliste des Partners abzurutschen.

So geht es auch Sabine und Martin. Gerade heute Morgen haben sie wieder über eines ihrer Lieblingsthemen gestritten. Martin hält seiner Frau vor, dass sie abends nie gleichzeitig zu Bett geht wie er. Das mache sie, damit sie auch ja kein Sex mit ihm haben müsse. Sabine fühlt sich kontrolliert und wirft ihrem Mann vor, dass er immer alles im Griff haben müsse. In seiner Firma könne er ja vielleicht alle bevormunden, sie lasse sich aber nicht auch noch ihre Schlafenszeit vorschreiben.

Vordergründig geht es bei ihnen immer wieder um gemeinsame Schlafenszeiten und Sex. Martin ist sarkastisch und fordernd, Sabine ist abwehrend und zieht sich zurück. Diese Diskussion führen sie mit kleinen Variationen schon seit Jahren. Und wenn sich nichts Grundlegendes ändert, werden sie diesen Streit noch hundertmal wiederholen. Doch weil es seit dem Wiedereinstieg von Sabine ins Berufsleben vor drei Jahren schlimmer geworden ist, sitzen sie nun im Zimmer einer Paartherapeutin.

Nach zehn Minuten mit dem gewohnten Hin und Her über eine „normale Sexhäufigkeit“ und „wir haben doch schon tagsüber Zeit miteinander verbracht, weshalb müssen wir da noch gleichzeitig zu Bett gehen?“, hat die Therapeutin genug gehört. Solange hier nicht über das eigentliche Thema gesprochen wird, kommen sie keinen Millimeter weiter. Der Schlüssel dazu sind die Gefühle. Deshalb fragt die Therapeutin Martin, wie er sich denn fühle, wenn er im Bett auf seine Frau wartet.

„Ist natürlich toll, wenn man ständig auf seine Frau wartet und sich fragt, wann es ihr genehm ist, vielleicht doch noch aufzutauchen“, antwortet Martin. Die Therapeutin bleibt dran: „Was geschieht gerade jetzt, wo Sie darüber sprechen? Sie klingen wütend, aber hinter dem Sarkasmus verbirgt sich noch etwas. Wie fühlt es sich an, auf sie zu warten und das Gefühl zu haben, dass es ihr egal ist, wie lange Sie warten?“

Erst nach einer längeren Pause antwortet Martin: „Es ist bitter. Und dann werde ich wütend … Hm, aber wie fühlt sich für mich das Warten an?“ Nun beginnen seine Mundwinkel zu zucken. „Es tut weh, einfach nur weh.“ Mit großem Erstaunen hört Sabine ihrem Mann zu, als er mit schwacher Stimme erklärt, dass er nur noch ein Lückenfüller in ihrem Leben sei. Sie schiebe ihn noch irgendwo rein zwischen ihrer Arbeit, ihren Freundinnen und ihrer Vorstandsarbeit. Dass er Angst davor habe, nicht mehr wichtig für sie zu sein und sie zu verlieren. Und dass er sich wie ein Idiot vorkomme, weil er ja weiß, wie beschäftigt sie ist und er ihr gerne diesen Freiraum geben würde. Aber dass er dann immer wieder von Schmerz und Wut übermannt werde.

Sabine ist überrascht: „Das habe ich noch nie gehört. Ich wusste überhaupt nicht, dass du Angst hast, mich zu verlieren. Ich dachte immer, dass du problemlos auch ohne mich leben könntest. Und dass du mich einfach im Griff haben möchtest, und nicht, dass du Angst davor hast, keinen Platz mehr in meinem Leben zu haben.“

Eigentlich geht es gar nicht ums gleichzeitige Schlafengehen. Auch nicht um Sex oder Kontrolle. Sondern darum, dass Sabine Martin viel mehr bedeutet, als es wegen seiner abgeklärten Art scheint, und dass er Angst davor hat, sie zu verlieren. Diese neue Erkenntnis wird vieles in ihrer Partnerschaft verändern.

 

NEXT LEVEL FÃœR MEINE BEZIEHUNG:

Welche Stellvertreterdiskussionen führt ihr? Und um welches übergeordnete Thema geht es dabei eigentlich, wenn ihr ganz ehrlich und mutig wärt?